Schweizer Uhrenindustrie im Rückwärtsgang

Sinkende Schweizer Uhrenexporte nach China und Hongkong

Die Schweizer Uhrenindustrie hatte für 2024 mit rückläufigen Zahlen gegenüber dem Vorjahr gerechnet. Aber im Juni sanken die Zahlen überraschend stark. Eine Analyse und Erklärungsversuch der sinkenden Schweizer Uhrenexporte.

von | 21.07.2024

Rückläufige Exportzahlen

So rund, wie sich die Mehrheit aller Armbanduhren traditionsgemäß präsentiert, läuft es für die Uhrenindustrie derzeit nicht. Ins Getriebe, das die kontinuierlich verstreichende Zeit in kleine, messbare Teile zerhackt und am Handgelenk vor Augen führt, gelangte einiger Sand. Kaum jemand hatte erwartet, dass das Rekordjahr 2023 eine Steigerung erfahren würde. In der Schweiz ruhten die Hoffnungen auf nahezu gleich bleibenden Export-Umsätzen. Dieser Wunsch scheint jedoch nicht in Erfüllung zu gehen, vielmehr verzeichnen die ersten Monate 2024 stark sinkende Schweizer Uhrenexporte, wie die aktuellen Statistiken des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH) erkennen lassen.

Sinkende Schweizer Uhrenexporte Januar - Juni 2024 30 Top Märkte

Schweizer Uhrenexporte von Januar - Juni 2024 - die Top 30 Märkte. Quelle FH

Sinkende Schweizer Uhrenexporte

Im Mai 2024 verzeichneten die 30 wichtigsten Länder mit einem Marktanteil von mehr als 98% einen Rückgang von 2,2% gegenüber dem Vorjahresmonat. Von Januar bis Mai 2024 gaben die Uhrenexporte insgesamt 2,5% nach. Im Juni 2024 sank die Kurve deutlich weniger moderat. Die Ausfuhren beliefen sich auf nur noch 2,3 Milliarden Franken, was einem Rückgang von 7,2% gegenüber Juni 2023 entspricht. In den ersten sechs Monaten des Jahres exportierten die Fabrikanten Ware im Gegenwert von 12,9 Milliarden Schweizerfranken. Das wiederum entspricht einem Rückgang von 3,3% gegenüber dem ersten Halbjahr des Vorjahres.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine differenziertere Betrachtung dieser Zahlen. Die wenig erfreuliche Entwicklung im Juni ist einmal der Tatsache geschuldet, dass in der Schweiz zwei Tage weniger gearbeitet wurde. Überdies gaben wichtige asiatische Märkte deutlich nach. Eine Ausnahme macht Japan, denn dort ist der Yen inzwischen derart schwach, dass sich Einkaufstourismus wirklich lohnt.

Schon im Mai 2023 hatte das Land der aufgehenden Sonne beim Uhrenimport ein Plus von 5,8% verzeichnet. Im Juni kletterte dieser Wert sogar auf 13,2%. Bei meinem jüngsten Besuch in Tokio erlebte ich tatsächlich volle Kaufhäuser und Boutiquen. Dieses Wachstum und das bei den Exporten in die Vereinigten Staaten von Amerika (Juni +6,5%), kann signifikante Rückgänge in anderen asiatischen Ländern allerdings nicht kompensieren.

Sinkende Schweizer Uhrenexporte Januar - Juni 2024 Regionen

Schweizer Uhrenexporte: Januar - Juni 2024 nach Regionen. Quelle FH

Ausgeprägte China-Schwäche

Die Ausfuhren nach China gaben im Mai um 18% und im Juni um 36,5% gegenüber den jeweiligen Vorjahresmonaten nach. Und die Exporte nach Hongkong büßten 22,7% bzw. 23,1% ein. Damit blieben diese wichtigen Märkte im ersten Halbjahr 2024 deutlich hinter den Erwartungen zurück. Von Sättigung kann dort keine Rede sein. Aber es gibt etliche Gründe, warum sich das für die Schweizer Uhrenindustrie nach den USA zweitwichtigste Publikum in Kaufzurückhaltung übt. Über die Immobilienkrise und die aktuelle Wirtschaftsschwäche samt ihren Folgen für den Konsum haben wir im Uhrenkosmos schon öfter geschrieben.

Gleiches gilt für die hohe Arbeitslosigkeit von Jungakademikern. Diese fallen als potenzielle Käuferinnen und Käufer logischer Weise aus. Auch um das gegenwärtige Vertrauensklima ist es nicht sonderlich gut bestellt. All das konstatiert auch die FH. Verunsicherte sind keine konsumfreudigen Menschen. Sie schieben kostspielige Anschaffungen auf eine längere Bank. Durch das Immobiliendesaster Geschädigte müssen nolens volens auf tickende Statussymbole verzichten. Zu allem Überfluss stehen teure Uhren in Konkurrenz zu Luxus-Accessoires wie beispielsweise Handtaschen und dazu auch Schmuck. Immer öfter fällt die Entscheidung zu deren Gunsten, weil speziell Frauen sie als wertbeständiger erachten.

Der Swatch Group mit ihren Marken wie Omega, Longines oder Rado, aber auch dem Richemont-Konzern fällt nun auf die Füße, sich in große Abhängigkeit von dem großen fernöstlichen Wachstumsmarkt begeben zu haben. Jahrzehntelang gab es nur eine Blickrichtung: Festland-China und Hongkong. In deren steigender Upperclass und Mittelschicht sah man das Heil aller Dinge. Nun muss die Branche wohl umdenken.

Verlauf der Aktienkurse von Swatch Group und Richemont 2015 - 2024

Verlauf der Aktienkurse von Swatch Group und Richemont 2015 - 2024 (Quelle: Aktien-Guide)

Die Swatch Group bekam die China-Schwäche dadurch zu spüren, dass ihr Aktienkurs auf nur noch 177,70 Franken stürzte. Stützungskäufe der Familie Hayek verhinderten noch Schlimmeres. Damit ist die Aktie nur noch rund ein Drittel dessen wert, was sie vor zehn Jahren gekostet hat. Auch die Richemont-Papiere gaben nach. Dies im Vergleich zur Swatch Group aber nur marginal.

Gemäß dem Bericht über das erste Quartal 2024 (01.04. – 30.06.) setzte der aus Genf geleitete Konzern in China, Hongkong und Macau gegenüber dem hohen Vorjahreszeitraum wertmäßig beachtliche 27% weniger Uhren ab. Auch Singapur und Südkorea führten im Juni 2024 wertmäßig 10,8% bzw. 8,6% weniger ein. Die Vereinigten Arabischen Emirate verzeichneten ein Minus von 9,6%. Nichts zu lachen gab es auch bei den Exporten nach Europa: Vereinigtes Königreich -2,3%, Frankreich -0,1%, Deutschland -5,5%, Italien -13,0% und Spanien -5,5%. Die geopolitische und wirtschaftliche Situation vermiest vielen Menschen ganz offenbar den Spaß an luxuriösen Uhren.

Sinkende Schweizer Uhrenexporte Januar - Juni 2024 nach Regionen

Schweizer Uhrenexporte von Januar bis Juni 2024 nach Regionen. Quelle FH

Allerdings, und auch das sei gesagt, gibt es deutliche Unterschiede bei den verschiedenen Gehäusematerialien und Preiskategorien. Eindeutiger Verlierer ist Edelstahl mit einem wertmäßigen Minus von 7,6% im Mai und 15,5% im Juni. Demgegenüber blieben Uhren mit Edelmetallschalen stabil (Mai +1,6% und Juni +0,3%). Dieses Faktum korreliert mit den Preiskategorien.

Hier handelt es sich zur abermaligen Verdeutlichung um Exportpreise. Die Publikumspreise vor Ort inklusive der jeweiligen Umsatzsteuer liegen etwa dreimal so hoch. Ungeachtet relativ geringer Nachfrage hielten sich die Uhren mit einem Exportpreis von mehr als 3.000 Schweizerfranken im Juni recht gut. Mit einem Minus von 0,5% blieben sie wertmäßig nahe am Niveau vom Juni 2023. Dagegen gaben die Stückzahlen um 9,6% nach. Deutliche Rückgänge hinsichtlich Wert und Stückzahlen waren dagegen in allen anderen Preiskategorien zu verzeichnen.

Schweizer Uhrenexporte Produkte Juni 2024 Materialien und Preisgruppen

Schweizer Uhrenexporte Produkte im Juni 2024 nach Materialien und Preisgruppen. Quelle FH

Mehr als 80% des gesamten wertmäßigen Rückgangs entfielen dabei auf Armbanduhren im Segment von 500 bis 3.000 Schweizerfranken Export oder ungefähr 1.500 bis 9.000 Schweizerfranken Publikumspreis. Die Stückzahlen sanken hier sogar um 36,9%. In dieser Gruppe finden sich Menschen, die das Geld für ihren Neuerwerb nicht einfach aus der Portokasse nehmen können.
Viele von ihnen müssen darauf sparen und sie plagen andere Sorgen wie hohe Mieten oder Inflation. Auch die Angst vor Jobverlust, die jährliche Urlaubsreise oder das neue Auto verlangen ihren Tribut durch Verzicht auf eine neue Armbanduhr. Vermutlich wird sich das in den kommenden Monaten nicht grundlegend ändern.

Rote Zahlen kennzeichnen auch die Exportpreis-Kategorie 200 bis 500 Franken. Nach Stücken ist ein Verlust von 25,2 und Wert ein Minus von 23,3 Prozent zu verzeichnen. Bis 200 Franken sank die Quantität um 12,9% und der Wert um 6,4%. Alles in allem büßte die Schweizer Uhrenindustrie im Juni 2024 gegenüber dem Vorjahresmonat 19,1% der gelieferten Stückzahlen ein. Der Wert sank um 6,8%. Will heißen: Die Durchschnittspreise der exportierten Uhren kletterten deutlich nach oben.

Interessant auch, dass Uhren in der Kategorie andere Gehäusematerialien im Juni wertmäßig um 6,8% und nach Stückzahlen 19,9% verloren. Daraus lässt sich schließen, dass die mit Omega und Blancpain entwickelten Swatch Modelle an Popularität einbüßen, wofür auch die miserablen Halbjahreszahlen der Swatch Group sprechen. Siehe hier im Uhrenkosmos.

Schweizer Uhrenexporte Produkte Juni 2024 und gleitender Durchschnitt 12 Monate

Schweizer Uhrenexporte Produkte im Juni 2024 und gleitender Durchschnitt über 12 Monate hinweg. Quelle FH

Durststrecke

Summa summarum hatte die Schweizer Uhrenindustrie zum Ende des ersten Halbjahres 2024 gut 800 000 Armbanduhren weniger exportiert als im Vorjahreszeitraum. Und das entspricht einem Minus von 9,9 %. Inwieweit das gegenwärtige Stühlerücken bei Richemont und LVMH damit zu tun hat, analysieren wir in einem anderen Uhrenkosmos-Beitrag.

Unbestreitbar ist jedoch, dass sich die Situation in der Uhrenindustrie grundlegend ändert und die dunklen Wolken 2024 wohl nicht mehr vom Himmel verschwinden werden. Mit mehreren Preiserhöhungen pro Jahr haben sich manche Marken womöglich selbst ein Bein gestellt. Nun ist da und dort guter Rat teuer, wie man aus dieser Sackgasse herausfindet. Schwerlich lässt sich der Preis für ein und dasselbe Produkt senken. Das verprellt viele Kunden, die sich auf diese Weise übervorteilt fühlen würden.

Aber darüber müssen wir uns an dieser Stelle nicht den Kopf zerbrechen. Das ist der Job der vielen gut bezahlten Uhrenmanager, welche auch an der nach oben zeigenden Preisschraube gedreht haben. Durch die auf höhere Umsätze bei gleichbleibenden Stückzahlen zielende Politik wurde das angestammte Preissegment verlassen. Dort gingen “Stammkunden” verloren, während man im neuen, höheren Preissegment nicht angekommen ist oder als Marke womöglich gar nicht angenommen wird.

 

Sinkende Schweizer Uhrenexporte

Schweizer Uhrenexporte von Januar - Juni 2024 nach Produkten. Quelle FH

Sinkende Schweizer Uhrenexporte und Kurzarbeit

In dieses Bild passt die Tatsache, dass im Westschweizer Jurabogen etwa 40 mit der Uhrenindustrie verknüpfte Firmen Kurzarbeit angemeldet haben. Betroffen davon sind bis zu 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nach den jährlichen Betriebsferien werden beispielsweise die Gehäusehersteller Louis Lang und MRP bis Anfang September ihrer Produktion ruhen lassen.

Entlassungen im größeren Stil sind jedoch vorerst nicht angesagt, denn man möchte qualifiziertes Personal unbedingt in den eigenen Reihen halten. Es ist auch nicht so, dass sinkende Schweizer Uhrenexporte etwas Unbekanntes wären. Aber im Moment ist vollkommen offen, wie es mittelfristig weitergeht und lässt sich derzeit auch nur schwer abschätzen. Zu unsicher ist die wirtschaftliche und politische Lage auf den Weltmärkten. Wären China und Hongkong nicht, könnte die Schweizer Uhrenindustrie im ersten Halbjahr 2024 ein Wachstum von einem Prozent verbuchen. Damit ließe sich sehr gut leben.

 

Schweizer Uhrenexporte Top Märkte

Schweizer Uhrenexporte: die Top Märkte. Quelle FH

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