Dieser Deal hat sich auf dem Papier schon mal gelohnt. Denn auf die Meldung Watches of Switzerland übernimmt Hodinkee vom 3. Oktober 2024 reagierte die Börse prompt. Die Deutsche Bank sprach eine Kaufempfehlung aus und der Aktienkurs von Watches of Switzerland verbesserte sich innerhalb von wenigen Tagen um 30 Cent auf 5,55 Euro. Ein Aufschlag, der beim Börsenwert von Watches of Switzerland in Höhe von rund 1,33 Milliarden umgerechnet rund 70 Millionen Euro wert ist.
Nun gut, Börsenwerte schwanken. Ebenso ist der genaue Kaufpreis unbekannt. Aber der Kauf von Hodinkee durch WoSG ist genau das Storytelling, das sowohl Watches of Switzerland wie Hodinkee brauchen und der ein beachtliches Umsatzpotential zugetraut wird. Schließlich bringt Hodinkee als einer der größten englischsprachigen Uhrenplattformen zwei Aspekte ein, die WoSG dringend braucht. Ein großes funktionierendes E-Commerce Geschäft mit neuen und alten Uhren, dank guten Contents viel Traffic, der ansonsten teuer bei Google eingekauft werden müsste und eine große, treue Community von – laut eigenen Angaben – 22 Millionen User pro Jahr. Zum Vergleich – Uhrenkosmos.com, als rein deutschsprachige Uhrenplattform, hat im Jahr knapp 800.000 Besucher.
Watches of Switzerland
Dass Hodinkee in diese Ehe eine wichtige Mitgift mitbringt, erkennt man schnell, schaut man genauer auf die Zahlen. Watches of Switzerland unter Leitung seines CEO Brian Duffy ist zwar der größte Einzelhändler für Luxusuhren in Großbritannien und den USA und betreibt mit renommierten Marken wie Watches of Switzerland, Goldsmiths, Mayors, Betteridge bzw. Analog:Shift für Gebrauchtuhren insgesamt 221 Showrooms und Onlineshops. Dazu kommen noch 96 Monomarken-Boutiquen in Zusammenarbeit mit Rolex, OMEGA, TAG Heuer, Breitling, TUDOR, Audemars Piguet oder etwa Grand Seiko.
Allerdings konnten die Umsätze nicht mit dem schnellen Tempo der Expansion mithalten, die Monomarken-Boutiquen liefern nicht die erhofften Umsätze und Watches of Switzerland musste insbesondere in Europa viele Boutiquen wieder schließen. Ebenso bereitet der Bereich E-Commerce große Sorgen, denn WoSG musste gegen den Trend einen Rückgang der E-Commerce-Umsätze um 11% melden. Auch der Gewinn vor Steuern ging im abgelaufenen Geschäftsjahr um 40 % zurück. Die Anleger brauchen also neue Phantasie und eine gute Geschichte, um an bessere Umsätze zu glauben.
Die Übernahme von Hodinkee unterstützt direkt das E-Commerce-Geschäft von Watches of Switzerland, indem sie den Traffic und die Markenbekanntheit in unseren Märkten, insbesondere in den USA, steigert und unsere Führungsposition in diesem Online Sektor weiter ausbaut.
Hodinkee
Der Optimismus kommt nicht von ungefähr. Denn mit Hodinkee (wir hatten kürzlich über die Marke berichtet) übernimmt Watches of Switzerland nicht irgendeine Plattform. Vielmehr hat sich die im Jahre 2008 von Ben Clymer gegründete Internetplattform zu einem der wichtigsten Uhrenblogs und einem großen Uhrenhändler entwickelt. Dabei konnte sich Hondinkee durch den Verkauf einer Vielzahl von höher bepreisten „Hodinkee-Editions“ gängiger Uhrenmodelle als Uhrenhändler positionieren.
Deutlich schwerer tat man sich allerdings mit der Übernahme von Crown and Caliber, der im Jahr 2021 übernommenen Website für gebrauchte Uhren. Sie entwickelte sich für Hodinkee zur großen Belastung und das Unternehmen war gezwungen, das Geschäft mit dem Ankauf von Gebrauchtuhren einzustellen, Mitarbeiter zu entlassen. Nun wird das Geschäft mit Gebrauchtuhren von Watches of Switzerland übernommen und der Markenname Crown and Caliber wurde, wie wenige Tage später bekannt wurde, an den Gebrauchtuhrenhändler European Watch Company aus Boston verkauft.
Auch die Gebrauchtuhren aus dem Bestand von Crown & Caliber wird Watches of Switzerland nicht übernehmen. Vielmehr wurde der Bestand an den amerikanischen Gebrauchtuhrenhändler Boneta Inc. verkauft.
All dies geschah nicht ganz zur Freude der Finanzierungsrunde unter der Leitung von Chernin Private Equity, bzw. den Financiers um Bernard Arnault und LVMH Luxury Ventures, Football Star Tom Brady und weiteren mehr oder minder prominenten Investoren. Sie investierten im Jahr 2020 im Zuge einer neuen Finanzierungsrunde insgesamt 40 Millionen Dollar in Hodinkee. Sie hatten sich insbesondere von der Übernahme von Crown and Caliber weiter steigende Einnahmen erhofft.
Wie wichtig der E-Commerce Bereich für die Uhrenplattform Hodinkee ist, gab Ben Clymer selbst in einigen Interviews zu Protokoll. So machte der redaktionelle Erlösanteil von Hodinkee, das in seiner Glanzzeit auf einen Umsatz von knapp 100 Millionen Dollar kam, lediglich 10 Prozent aus. 50 Prozent steuerte der Verkauf von Hodinkee Editionen bei und 40 Prozent des Umsatzes brachte der Handel mit gebrauchten Uhren aus.
Wie gesagt, alles zu Zeiten der Hochphase. Dann kam jedoch die Corona-Krise, der Einbruch der in den USA sehr wichtigen Crypto-Währungen und der weltweite Umsatzeinbruch bei neuen Uhren wie die neue Sachlichkeit bei der Bewertung von Uhren im Gebrauchtmarkt. Hodinkee blieb davon nicht unverschont und die Umsätze gingen dramatisch zurück. Wenn nun Watches of Switzerland Hodinkee übernimmt, besteht das Hodinkee-Team nur noch aus einer Kernmannschaft von 35 Mitarbeitern.
Watches of Switzerland übernimmt Hodinkee
Auf bessere Zeiten und das Zukunftsmodell einer Verbindung von Handelsplattform und Uhrenplattform setzen also sowohl Hodinkee als auch Watches of Switzerland. Dabei soll die Einverleibung des E-Commerce vor allem Watches of Switzerland helfen, den Abwärtstrend im digitalen Business zu stoppen. Zur erhofften besseren Performance von Hodinkee wird wohl auch die Ankündigung von Ben Clymer beitragen, wieder aktiv als operativ tätiger CEO zu Hodinkee zurückzukehren. War es doch insbesondere seine spürbare Leidenschaft für Uhren, seine technische Expertise, aber auch der lockere, zwanglose Stil verbunden mit einer Prise Humor, die Hodinkee zu einer der beliebtesten Uhrenplattformen der Welt machten.
Watches of Switzerland wiederum wird künftig den merkantilen Teil von Hodinkee übernehmen und kann insbesondere in der Gestaltung des Angebots, aber auch in der Abwicklung der Käufe im Markt der neuen, wie gebrauchten Uhren seine bestehenden Strukturen einbringen. Eine klassische Win-Win-Situation – wenn alles klappt.
Wir haben die Uhrenindustrie von heute unterstützt und mit aufgebaut, und jetzt müssen wir uns an sie anpassen.
Zukunft der Uhrenplattformen
Etwas differenzierter fällt allerdings die Betrachtung aus, bewertet man rein den redaktionellen Aspekt. So ist der Fit einer Uhrenplattform mit einem Uhrenhändler zwar offensichtlich. Dass es jedoch zu künftigen Interessenskonflikten kommen kann, würde nicht überraschen. Denn natürlich wird Watches of Switzerland danach trachten, die Uhren zu verkaufen, die zu verkaufen sind. Ob dies der redaktionellen Unabhängigkeit guttut, wird zu prüfen sein.
Dabei ist Watches of Switzerland nicht einmal die erste Plattform, die diesen Schritt machte. Auch Chrono24, der weltweit größte Online-Marktplatz für gebrauchte Uhren (bzw. neuen Uhren mancher Uhrenmarken mit akuten Absatzproblemen) hat sich 60 Prozent der großen europäischen Plattform Fratellowatchtes.com gesichert. Mit diesem Investment sichert sich das mit über 1 Milliarde bewertete Start-up, das in den 20 Jahren seines Bestehens verschiedener Quellen nach über 200 Millionen Investment einsammeln konnte, den Zugang zu Nutzern und Content. Ein Umstand, der auch den hinter Chrono24 stehenden Private Equity Investoren General Atlantic , Insight Partners, Sprints Capital und Aglaé Ventures, der Venture Capital Firma der Familie Arnault, wichtig war.
Geht es bei dieser Verflechtung von Content und Business um den Zugang zu Zielgruppen und Inhalten wie letztlich um gutes Storytelling. Es sind schließlich die guten Nachrichten, die es ermöglichen, durch den geplanten Börsengang das Investment in Chrono24 zu Geld zu machen. Entsprechend begehrlich richten sich auch bereits die Blicke einiger Investoren auf die zweite große englischsprachige, qualitativ sehr hochwertige Seite Monochrome-Watches.com.
Ausblick
Ist das Zusammengehen von redaktionellen Uhrenplattformen und (digitalen) Uhrenhändlern ein Problem? Nicht unbedingt. Solange redaktionelle Standards eingehalten werden und die Leser verstehen, wo die Pfade laufen, bzw. welche Interessen der beteiligten Player im Spiel sind. Auch der Hodinkee Kauf durch Watches of Switzerland kann Positives bewirken. Schließlich kann sich Hodinkee wieder auf das konzentrieren, was es am besten kann – nämlich gute redaktionelle Beiträge. Und wenn es um den Kauf von Uhren geht, gibt es eben das direkt integrierte kommerzielle Angebot.
Ben Clymer von Hondinkee hat dies seinen Usern sehr offen kommuniziert, als er über die Zukunft von Hodinkee unter Watches of Switzerland sprach:
„Aber zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn Sie auf den Hodinkee-Shop klicken, sehen Sie die gesamte Produktpalette, die WatchesofSwitzerland.com führt. Wir werden in den nächsten Monaten daran arbeiten, dass dies effektiv nahtlos geschieht.“
Ob man es wahrhaben will oder nicht – es geht um good Storytelling. Und diese wird in Zukunft einen immer größer werdenden kommerziellen Aspekt haben.
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